Menschenrechtsarbeit braucht manchmal unglaublich viel Zeit. Jetzt haben die “Grossmütter der Plaza de Mayo”, eine argentinische Menschenrechtsorganisation, deren Gründung wir von Ulm aus in den 70ern finanziert und politisch unterstützt hatten, den 114ten Fall eines mit den Eltern “verschwundenen” oder in der Gefangenschaft geborenen Kindes geklärt.
Die 23 jahre alte Studentin Laura Estela Carlotto wurde am 26.11.1977 von argentinischen Sicherheitskräften als Gegnerin der Militä
Menschenrechtsarbeit braucht manchmal unglaublich viel Zeit. Jetzt haben die “Grossmütter der Plaza de Mayo”, eine argentinische Menschenrechtsorganisation, deren Gründung wir von Ulm aus in den 70ern finanziert und politisch unterstützt hatten, den 114ten Fall eines mit den Eltern “verschwundenen” oder in der Gefangenschaft geborenen Kindes geklärt.
Die 23 jahre alte Studentin Laura Estela Carlotto wurde am 26.11.1977 von argentinischen Sicherheitskräften als Gegnerin der Militärdiktatur verhaftet und “verschwand”. Sie war damals im 3. monat schwanger. Im April 1978 wurden die Familie und Amnesty von Mitgefangenen informiert, dass Laura am Leben sei, dass sie voraussichtlich im Juni 1978 ein Kind zur Welt bringen und es, falls es ein Junge sei, Guido nennen würde.
Amnesty Ulm nahm den Fall auf.
Im August 1978 wurde der von Folterspuren gezeichnete Körper Lauras den Eltern übergeben. Sie sei während einer “Verkehrskontrolle” in der Umgebung von Buenos Aires wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt von Sicherheitskräften erschossen worden, hieß es. Tatsächlich war es ein geplanter Massenmord an mehreren politischen Gefangenen.
Mitgefangene berichteten Amnesty, dass Laura am 25. juni 1978 von einem gesunden Jungen entbunden wurde und dass ihr das Kind 5 Stunden nach der Geburt weggenomnen wurde.
Fast 40 jahre danach ist Guido lebend wiedergefunden und mit seiner Familie vereint worden – er ist der Enkel unserer alten Freundin Estela Barnes de Carlotto, eine der Mitbegründerinnen der Großmütter, die oft bei uns in Ulm zu Gast war, und deren heutige Präsidentin. Offenbar wurde Guido nach der Ermordung seiner Mutter von Sympathisanten der Militärs an eine kinderlose Familie gegeben und unter gefälschter Identität registriert. Die Wiedervereinigung mit seiner wahren Familie wurde möglich durch die Einrichtung einer genetischen Datenbank, welche die “Großmütter der Plaza de Mayo” schon in den 80er Jahren mit technischer und finanzieller Hilfe u.a. aus Ulm aufgebaut hatten. Und dank einer sehr guten Öffentlichkeitsarbeit, die allen Argentiniern, die Zweifel an ihrer Herkunft haben, die Möglichkeit einer Überprüfung ihrer Identität geben.
Eine Erzählung des ursprünglichen Falles findet ihr in dem Amnesty-Buch “Geschichten aus dem Niemandsland” (Schmetterling Verlag, Stuttgart) unter dem Titel “Laura oder der Trost”.
Ja, es ist eine schreckliche Nachricht, dass es fast 40 Jahre braucht, um das Schicksal einer Familie aufzuklären. Aber es gibt auch eine gute Nachricht – nämlich dass es sich lohnt, nicht locker zu lassen. Und wenn es auch Jahrzehnte dauert.
Wir lassen auch jetzt nicht locker. Die Verantwortlichen für das “Verschwindenlassen” und den Mord an Laura sowie die Verantwortlichen für die Verschleppung von Guido gehören vor Gericht. Entweder in Argentinien, oder vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Amnesty setzt sich für die Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen ein – nicht wegen der “Strafe”, sondern wegen der Aufklärung. Und um zu zeigen, dass auch diejenigen, die angeblich im Auftrag ihres Vaterlandes, Ihrer Partei, Ihrer Religion oder sonst irgendeines “Höheren Zweckes” Verbrechen begehen, nichts anderes sind als eben Verbrecher und nicht besser behandelt werden als gewöhnliche Kriminelle.
Diese Nachricht mag unbedeutend erscheinen im Angesicht der aktuellen Krisen im Irak, in Syrien, im Südsudan, in Gaza, in Nordnigeria und so vielen anderen Ländern. Aber sie ist nicht unbedeutend. Konsequenz und Zielstrebigkeit zahlen sich aus, irgendwann. Und vielleicht nur in vielen kleinen Schritten.
Wir bauen auf die vielen Schritte. Auf die kleinen. Und die großen. Und wir brauchen noch mehr Leute, die mitmachen wollen.